Monday, November 5, 2007

Schrille Alarmrufe aus dem islamischen Wunschgebilde

Pakistan

Schrille Alarmrufe aus dem islamischen Wunschgebilde

Von Werner Adam


Mitglieder der islamischen Oppositionspartei Jamaat-i-Islami demonstrieren gegen Musharraf
05. November 2007
In den sechs Jahrzehnten seines Bestehens ist Pakistan bislang nicht weniger als zweiunddreißig Jahre lang von Männern in Uniform regiert worden. Zwischenzeitlich führten zivile Politiker eher schlecht als recht das Ruder, und zwar unter insgesamt zwanzig Ministerpräsidenten in ebenso vielen Jahren. Wenn immer die Militärs eingriffen, wollten sie sich selbstredend als Retter der Nation verstanden wissen.


So melodramatisch, wie jetzt Präsident und Armeechef Pervez Musharraf mit der Verhängung des Ausnahmezustands sein Festhalten an der Macht begründet hat, ist es vor ihm allerdings noch keinem pakistanischen General über die Lippen gekommen. Musharraf rechtfertigte seine vorläufige Absage an einen neuerlichen Anlauf in Richtung Demokratie mit der Behauptung, nur auf diese Weise sein Land vor dem „Selbstmord“ bewahren zu können.


Ein staatlicher Todesstoß


An schrillen Alarmrufen hat es noch nie gefehlt in der Geschichte dieses einzigen Staatswesens der Welt, dessen Raison d'être allein auf dem Islam basiert. Kein Wunder, denn der muslimische Nachfolgestaat Britisch-Indiens war 1947 als eine geographische Missbildung gegründet worden, bestehend aus zwei Landesteilen, die durch zweitausend Kilometer indischen Territoriums voneinander getrennt waren. Zwischen dem bengalischen Ostpakistan und den Völkerschaften in Westpakistan gab es, von der religiösen Ausrichtung abgesehen, weder kulturell noch ethnisch die geringsten Gemeinsamkeiten.


Schon bald zeigte sich, dass dieses Gebilde nur mit militärischer Strenge zusammenzuhalten war. Als es dann 1971 endlich zu den ersten freien Wahlen kam, für die sich damals der Militärherrscher Yahya Khan stark gemacht hatte, liefen diese buchstäblich auf einen staatlichen Todesstoß hinaus. Dank ihrer Bevölkerungsmehrheit fiel der Wahlsieg den Ostpakistanern zu, den die Westpakistaner mit dem politischen Heißsporn Zulfikar Ali Bhutto an der Spitze jedoch nicht anerkennen wollten. Und so wurde nach einem blutigen Bürgerkrieg, an dem Indien einen nicht unerheblichen Anteil hatte, aus Ostpakistan das unabhängige Bangladesch und aus Westpakistan eine politisch lange Zeit traumatisierte, weil nunmehr halbierte „Nation“, die sich fortan um so stärker islamisierte.


Zehntausende in Koranschulen


Dazu wiederum trug maßgeblich ein anderer Militärherrscher bei, der durch einen Putsch gegen den zivilen Premierminister Bhutto an die Macht gelangt war und letzteren durch den Tod am Strang ausschalten ließ: General Zia ul-Haq. Er spielte eine wichtige Rolle im „Heiligen Krieg“ gegen die sowjetische Besatzungsmacht im benachbarten Afghanistan, zumal westliche Waffenlieferungen an die afghanischen Mudschahedin vornehmlich über Pakistan liefen. Hier nun kam vor allem der Militärische Geheimdienst (ISI) unter dem pakistanischen General Hamid Gul mit ins unselige Spiel.


Der am Wochenende von Musharraf endlich in Gewahrsam genommene Gul mochte sich seinerzeit mit der Rekrutierung afghanischer und pakistanischer Glaubenskrieger nicht begnügen. Mit der Begründung, dass die Kommunisten internationale Brigaden hätten und der Westen sich auf die Nato stützen könne, redete er einer „gemeinsamen Kampffront“ aller Muslime das Wort - und handelte danach. Bis zu 35.000 Islamisten aus Algerien, Ägypten, Jordanien, Sudan und dem Jemen, aus Usbekistan, dem chinesischen Xingjang und selbst aus den Philippinen wurden in dem Jahrzehnt von 1982 bis 1992 in pakistanischen und afghanischen Koranschulen trainiert und zum Kampf nicht nur gegen die Sowjetarmee am Hindukusch, sondern zum Teil auch im indischen Teil Kaschmirs, im nordkaukasischen Tschetschenien und auf dem Balkan eingesetzt.


Ein mysteriöser Flugzeugabsturz


Aus den Millionen afghanischer Flüchtlinge, die in Pakistan Zuflucht gefunden hatten, ging unter dem Oberkommando des ISI schließlich auch die Bewegung der Taliban hervor. Die pakistanischen Militärs waren sich sicher, auf diese Weise nachhaltigen Einfluss auf den weiteren Gang der Dinge in Afghanistan nehmen zu können. Den Siegeszug der Taliban sollte Zia ul-Haq freilich ebenso wenig erleben wie den vorausgegangenen Abzug der Roten Armee aus Afghanistan. Er kam, zusammen mit dem damaligen amerikanischen Botschafter, 1988 nach elfjähriger Herrschaft bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben.


In den folgenden elf Jahren wurde Pakistan jeweils wechselweise von den beiden Zivilpolitikern Nawaz Sharif, dem Führer der Muslimliga (ML), und Benazir Bhutto, der Tochter Zulfikar Ali Bhuttos und Vorsitzenden der Pakistanischen Volkspartei (PPP), regiert. Beide sahen sich wieder und wieder Vorwürfen der Korruption und der Vetternwirtschaft ausgesetzt, bis 1999 schließlich abermals die Generalität eingriff: Pervez Musharraf übernahm die Macht und schickte Nawaz Sharif, der ihm nach einer Auslandsreise die Rückkehr nach Pakistan hatte verweigern wollen, ins Zwangsexil nach Saudi-Arabien, während sich Benazir Bhutto nach London absetzte. Kurz zuvor war Pakistan dem Beispiel Indiens gefolgt und hatte sich als Atommacht etabliert.


Einer der wichtigsten Verbündeten Amerikas


Nach den Anschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington wurde Musharraf nicht ohne massiven Druck aus dem Weißen Haus zu einem der wichtigsten Verbündeten des amerikanischen Präsidenten Bush im „Krieg gegen den Terror“. Die militärische Ausschaltung der Taliban-Herrschaft in Afghanistan führte im Gegenzug dazu, dass das pakistanische Grenzgebiet zu Afghanistan zu einem Rückzugsgebiet sowohl für die Taliban als auch für Al Qaida wurde. Zugleich nahm in Pakistan die nicht zuletzt gegen Musharraf gerichtete antiamerikanische Stimmung zu, und mit ihr ging besonders in der „Northwest Frontier“ Province und in Belutschistan eine islamische Radikalisierung - lies: Talibanisierung - sondergleichen einher.


In beiden Provinzen lebten obendrein sezessionistische Tendenzen neu auf und erinnerten daran, dass sechzig Jahre zuvor starke Kräfte besonders unter den muslimischen Pathanen gegen die Gründung Pakistans gewesen waren. Der Anführer jener Bewegung, Abdul Ghaffar Khan, der als „Frontier Gandhi“ in die Geschichte eingehen sollte, war zunächst gegen eine Teilung des indischen Subkontinents und dann, als sich diese nicht hatte verhindern lassen, für ein von Pakistan unabhängiges „Paschtunistan“ unter Einschluss afghanischer Siedlungsgebiete. Auch der spätere Abfall Ostbengalens führte keineswegs zu einem stärkeren Zusammenhalt Restpakistans mit seinen vier Völkerschaften der Pundschabis, Sindhis, Belutschen und Pathanen. Deren Provinzen fanden bis heute nie wirklich zu einer Nation zusammen. Identitätsmerkmal blieb allein der Islam. Und der nahm vor allem in der Frontier Province immer radikalere Züge an.


Kein reibungsloser Machtwechsel


Dass Pakistan unter dem religiös moderaten Musharraf ungeachtet aller Krisen wirtschaftlich durchaus Fortschritte machte, war zwar nicht allein, aber doch vornehmlich amerikanischer Unterstützung zu verdanken, die sich in den vergangenen sechs Jahren auf rund zehn Milliarden Dollar belief. Im Kampf gegen den Terror blieb und bleibt der Westen nun einmal auf pakistanische Mitwirkung angewiesen, und von allen dort denkbaren Machtkonstellationen musste die mit Musharraf als Zentralfigur bisher als die immer noch erträglichste erscheinen.


Dass sich die Amerikaner hinter den Kulissen seit längerem schon für eine Art Partnerschaft zwischen dem General und Benazir Bhutto einsetzten, leuchtete insofern ein, als beide eher säkular als islamisch ausgerichtet sind und Frau Bhutto ungeachtet ihrer fragwürdigen politischen und administrativen Reputation mit der PPP eine recht gut organisierte Partei hinter sich weiß. Schwerlich zu bestreiten ist allerdings auch, dass die alarmierende Sicherheitslage im Lande alles andere als einen reibungslosen Wechsel von militärischer zu demokratischer Herrschaft erwarten ließ.


So ist Pakistan, dieses vor sechs Jahrzehnten geschaffene, aber von Grund auf missratene islamische Wunschgebilde, wieder einmal dort angelangt, wo es schon des Öfteren stand: am Rande des Abgrunds, aus dem als beklemmendes Echo der Notruf von Militärs widerhallt, die daran alles andere als unschuldig - und seit fast zehn Jahren nun auch noch atomar ausgerüstet sind.

Text: F.A.Z., 06.11.2007, Nr. 258 / Seite 3
Bildmaterial: AFP

http://www.faz.net/s/RubDDBDABB9457A437BAA85A49C26FB23A0/Doc~E961392F6DC234E31BCDC1E4E55AF5C0D~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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